Bundesweit fordern Wissenschaftler*innen, darunter die Dortmunder Juristin Prof. Dr. Christine Graebsch, Straffreiheit fürs sogenannte Schwarzfahren. In einem offenen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (Öffnet in einem neuen Tab) argumentieren sie für die ersatzlose Abschaffung des § 265a Strafgesetzbuch.
Wer Bus und Bahn ohne Fachschein betritt, begeht in Deutschland eine Straftat. Das Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bestraft. Unnötig, argumentieren zahlreiche Wissenschaftler*innen in dem offenen Brief. Sie sind auch von der geplanten Herabstufung als Ordnungswidrigkeit wenig überzeugt. Dabei haben sie sowohl soziale, ökonomische wie auch juristische Aspekte im Blick.
„Wir wenden uns nicht gegen die zivilrechtlichen Ansprüche, die Verkehrsunternehmen gegen Menschen, die ohne Fahrschein unterwegs sind, haben“, betont Christine Graebsch, Juristin am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Dortmund und Leiterin des hier ansässigen Strafvollzugsarchivs. Wie jedes andere Unternehmen können Verkehrsbetriebe diese geltend machen. Sie hätten auch eine hinreichend abschreckende Wirkung, etwa durch hohe Mahn- und Inkassokosten.
Kritik an Ersatzfreiheitsstrafen
„Wir machen uns für eine Entkriminalisierung stark“, betont Christine Graebsch. Die würde vor allem armutsbetroffenen Bürger*innen helfen sowie Behörden und Justiz entlasten. Den Unterzeichner*innen des offenen Briefs geht es dabei insbesondere um die verhängten Ersatzfreiheitsstrafen, wenn Geldstrafen nicht bezahlt werden. Diese betreffen vor allem Menschen in sehr prekären Lebenslagen, deren Fahren ohne Fahrschein von faktischen Zwängen (der Zahlungsunfähigkeit) zeuge.
Die Ersatzhaft belaste diesen Personenkreis zusätzlich stark. Zudem entstünden dabei hohe Kosten für den Staat. Dies würde auch im Falle einer Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit bestehen bleiben, da hier weiterhin das Instrument der Erzwingungshaft besteht. Die Entlastung für den Staat wäre durch die geplante Reform nahe Null.
Diskussion im Tagesgespräch
Professorin Graebsch war am 7. August 2024 zudem zu Gast im „Tagesgespräch“ des Bayerischen Rundfunks (Öffnet in einem neuen Tab) und ist dort mit Radio-Hörer*innen in die Diskussion gegangen. Die Juristin betonte, dass es nicht Aufgabe des Staates sein könne, als Inkasso-Unternehmen für die Verkehrsbetriebe zu fungieren. Das koste Geld und binde Kapazitäten in den Gerichten. Jährlich würden circa 7.000 Menschen aufgrund des Fahrens ohne Fahrschein inhaftiert, und dabei handle es sich um Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, die mit multiplen Problemen konfrontiert seien. Auf diese Gruppe gelte es Rücksicht zu nehmen. Für alle anderen gebe es das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro als Strafe.
Es sei zudem wissenschaftlich belegt, dass die Abschreckung nicht mit der Höhe der Strafe steigt, erklärte Professorin Graebsch. 60 Euro plus mögliche Haftstrafe führe nicht zu weniger Schwarzfahrenden als die 60 Euro allein. „Abschreckung erreichen Sie mit mehr Kontrollen“, so die Wissenschaftlerin. Doch diese Stellen hätten die Verkehrsbetriebe konsequent eingespart.
Dem mehrfach geäußerten Vorschlag, Menschen in Armut ein Nahverkehrsticket kostenfrei zu überlassen, konnte Christine Graebsch durchaus etwas abgewinnen, weil es Teilhabe ermögliche. Dies sei aber losgelöst von der Debatte um die Entkriminalisierung zu betrachten.