Inhalt anspringen
storyLab kiU

Wie es ist, ein anderer Mensch zu sein

Veröffentlicht

Das Youtube-Video zeigt links die virtuelle Umgebung, die die Person rechts sieht: Ihre Hände sind plötzlich die eines schwarzen Menschen.

Mit seiner Promotionsarbeit macht FH-Dortmund-Mitarbeiter Tobias Bieseke einen uralten Menschheitstraum möglich: „Ndinguwe (Öffnet in einem neuen Tab) “ erlaubt die Erfahrung, jemand anders zu sein. Das ist für viele intensiver als erwartet. Zurzeit gastiert die Arbeit bei der Start Art Week in Düsseldorf.

Ein junger Mensch war sichtlich berührt, als er das XR-Headset abnahm. Mehrere Minuten lang hatte er sich als andere Personen erlebt – Personen, die sich mit gesellschaftlichen Missständen konfrontiert sehen.

Mit den Worten „Es war traurig und schön. Traurig war die Intoleranz, aber schön war das Erleben der Fremdheit“ gab er das Headset zurück, ging zu seinen Freund*innen und ließ sich trösten, erinnert sich Tobias Bieseke an die Ausstellung „Britney X“ am Schauspiel Köln im Frühling 2024.

Tobias Bieseke

Tobias Bieseke hat seinen Master im Studiengang Film an der FH Dortmund absolviert und forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Digital-Labor „kiU“ der FH im Dortmunder U. Sein XR-Experiment „Ndinguwe“ realisiert er in Kooperation mit der Kunsthochschule für Medien Köln. Der Titel stammt aus der südafrikanischen Xhosa-Sprache und bedeutet „Ich bin du“.

Vier virtuelle Persönlichkeiten

Wer das Headset aufsetzt, findet sich in einer virtuellen Umgebung mit einem großen Spiegel wieder, in der er zwischen vier virtuellen Körpern (Avataren) wählen kann: ein Greis, eine Frau mit amputierter Hand, ein Schwarzer und eine zwischengeschlechtliche Person mit Glatze, Brüsten und Frauenkleidung.

Die Optik erinnert an ein VR-Computerspiel, aber das Gefühl ist ein anderes. Es geht nicht darum, den Avatar möglichst geschickt zu steuern, sondern sich weitestmöglich als diese Person zu erleben. Das Programm überträgt die Motorik des realen Körpers auf den Avatar: Kopf, Gliedmaßen, selbst die einzelnen Finger bewegen sich präzise synchron.

Szene des Youtube-Videos: Die VR-Brille versetzt die reale Person (rechts) in die virtuelle Umgebung (links).

Wer sich in einem der fremden virtuellen Körper bewegt und im virtuellen Spiegel beobachtet, kann zwischen virtuellem und eigenem Selbstbild kaum noch unterscheiden. Als wäre das nicht genug, überblendet das Programm im Spiegel den Avatar mit dem realen Körper.

Zu jedem Avatar gehört ein von Schauspieler*innen gesprochener Text, der eine gesellschaftliche Grenzsituation schildert. Bei dem schwarzen Avatar beispielsweise ist das der Polizeieinsatz im August 2022 in Dortmund, bei dem der 16-jährige Senegalese Mouhamed Dramé von einem Polizisten erschossen worden war.
Kein Wunder, wenn man danach erst mal durchatmen muss.

Nicht vorstellen. Wissen.

Was diese Installation leisten kann, sei die Befreiung von Stereotypen, sagt Tobias Bieseke. „Manche sagten hinterher: ‚Jetzt, wo ich das erlebt habe, habe ich Fragen. Wenn ich jetzt jemanden treffen würde, der nur eine Hand besitzt, hätte ich ein Gesprächsthema‘“, berichtet der Künstler von den Reaktionen. „Das Phänomen des ‚Embodiments‘ ist durch Studien gut belegt: Wenn wir eine bestimmte körperliche Haltung einnehmen, zum Beispiel mit gebeugtem Rücken oder extra aufrecht stehen, verändert sich die Wahrnehmung von sich selbst und der Umwelt.“

Bei „Ndinguwe“ geschehe etwas Vergleichbares: Durch die Körpererfahrung, die man sonst nicht machen kann, erweitere sich der empathische Horizont. Einfacher ausgedrückt: Man muss sich nicht mehr vorstellen, wie es wohl wäre, dieser andere Mensch zu sein. Man erlebt es.

Über das Projekt

Die XR-Installation ist das künstlerische Produkt der Promotionsarbeit von Tobias Bieseke. Die gesamte Arbeit trägt den Arbeitstitel „Realitätshybride – Die Inszenierung erweiterter Realitäten als Erlebnisräume“ und umfasst mehrere weitere XR-Experimente, unter anderem zu Body Feedback in XR-Umgebungen.

Die Start Art Week Düsseldorf (23.8. bis 1.9.2024) ist ein Business-Know-How- und Networking-Event für die freie Kunst-, Kultur- und Kreativszene in NRW. „Ndinguwe“ ist dort zu sehen vom 28. bis 30. August, jeweils von 10 bis 18 Uhr, an der Hochschule Düsseldorf im Foyer des Fachbereichs Design, Gebäude 6, Münsterstraße 156, 40476 Düsseldorf.

„Ndinguwe“ ist zum nächsten Mal zu sehen beim Next-Level-Festival Dortmund vom 14. bis 17. November 2024.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Funktionalität der Webseite zu gewährleisten und statistische Daten zu erheben. Sie können der statistischen Erhebung über die Datenschutzeinstellungen widersprechen (Opt-Out).

Einstellungen (Öffnet in einem neuen Tab)