Marius Wecker (28) blickt auf einen beeindruckenden Bildungsaufstieg zurück. Nach dem Hauptschulabschluss und einer handwerklichen Ausbildung fasste er den Entschluss, sein Abitur nachzuholen. Heute studiert Marius Germanistik und Philosophie, ist Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung und zieht eine Hochschulkarriere in Betracht.
Aber der Reihe nach. Dass seine berufliche Zukunft im Handwerk liegen würde, war für Marius zur Zeit seines Hauptschulabschlusses gesetzt. Dem damals 16-Jährigen erschien es folgerichtig, den Weg seines Vaters einzuschlagen und auch im Einklang mit seinem sonstigen soziokulturellen Umfeld zu handeln. „Eine akademische Laufbahn war zu diesem Zeitpunkt in meinem Horizont überhaupt nicht vorhanden“, erinnert sich Marius. Seine Berufsausbildung zum Elektriker absolvierte er an der Universität Paderborn, wo die Lehrwerkstatt zum täglichen Lern- und Arbeitsort wurde.
„Eine akademische Laufbahn war zu diesem Zeitpunkt in meinem Horizont überhaupt nicht vorhanden.“
Im Frühjahr 2014, zum Ende der Ausbildungszeit, kam es dann zu einer Konstellation, die Marius aus heutiger Sicht als schicksalhaft beschreibt: Eine reguläre Stelle in einem anderen Fachgebiet der Universität wurde frei, Marius bewarb sich und bekam eine Absage – man suchte einen Laboringenieur. „Hätte ich diese Stelle bekommen, würde ich heute vermutlich immer noch auf diesem Stuhl sitzen“, ordnet er die Wegmarke ein.
Für Marius (28) stand nach seinem Hauptschulabschluss fest: Ich werde Handwerker. Er folgte dem Weg seines Vaters und handelte im Einklang mit seinem sonstigen sozio-kulturellen Umfeld. Im Video gibt er einen Einblick in die scheinbare Alternativlosigkeit und beginnende Selbstzweifel zum Ende seiner Ausbildungszeit.
Der „Handwerksmühle“ entkommen
Zwar suchte und fand Marius binnen zwei Monaten eine Anschlussbeschäftigung in seinem gelernten Beruf. Auch empfand er es als angenehm, mit einem festen Geselleneinkommen und der ersten eigenen Wohnung in gesicherte, dabei autonome Strukturen einzutauchen. Gleichzeitig nagten Zweifel an ihm: „Ich konnte mir nie wirklich vorstellen, diesen Job die nächsten Jahrzehnte auszuüben. Und irgendwann merkte ich, dass nicht der Betrieb, sondern der Beruf und die grundsätzliche von mir eingeschlagene Richtung nicht passten.“ Was folgte, war ein Prozess der fundamentalen Neuorientierung mit dem Ziel, der „Handwerksmühle“ zu entkommen, sich selbst zu entfalten und dabei auch etwas gesellschaftlich Relevantes zu leisten.
Über einen guten Freund erfuhr Marius von der Möglichkeit, auf dem zweiten Bildungsweg Schulabschlüsse nachholen zu können. „Ich kannte den zweiten Bildungsweg und das System Westfalen-Kolleg bis dahin nicht. Ziemlich schnell habe ich gemerkt, dass das genau das Richtige für mich sein könnte. Da ich auch über die Qualifikation für die Fachoberschulreife verfügte, stand mir der Weg offen.“
Aufbruchstimmung am Westfalen-Kolleg Dortmund
Ein Gefühl der Aufbruchstimmung stellte sich bei Marius ein. Nach ausführlicher Recherche entschied er sich im Sommer 2016 gegen das heimatnahe Westfalen-Kolleg in Paderborn und für den Standort Dortmund, als eines der größten Westfalen-Kollegs in NRW mit einem entsprechend breiten Fächerspektrum. Zur Aufbruchstimmung gesellte sich in dieser Phase auch die Frage, ob er den Anforderungen der gymnasialen Oberstufe genügen würde: „Am Anfang habe ich gedacht, dass es für mich darum geht überhaupt mitzukommen, nicht den Anschluss zu verlieren“, gibt Marius einen Einblick in sein damaliges Gefühlsleben.
Über einen guten Freund erfuhr Marius von der Möglichkeit, am Westfalen-Kolleg das Abitur nachzuholen. Das Modell überzeugte ihn, Marius entschied sich für den Standort Dortmund. Im Video berichtet er vom Neustart zwischen Euphorie und Respekt, von bereichernden Erfahrungen in allen Lebensbereichen und vom Gefühl, ein 1,0-Abitur geschafft zu haben.
Positive Rückmeldungen seiner Lehrkräfte zeigten ihm dann sehr schnell, dass er allen Grund hatte, optimistisch und selbstbewusst nach vorne zu blicken: „Ich habe mich sehr wohl gefühlt und die Resultate haben mir in der ersten Zeit eine große Euphorie verliehen.“ Marius Werdegang zeigt dabei auch, dass die Entwicklung von Lebensperspektiven mehr braucht als Leistungsstärke. Marius lernte interessante Menschen kennen, darunter seine Partnerin, mit der auch heute noch zusammen ist. „Ich wurde in allen Lebenslagen bereichert und das hat wiederum positiv auf meine schulischen Leistungen ausgestrahlt.“
„Ich wurde in meiner Zeit am Westfalen-Kolleg Dortmund in allen Lebenslagen bereichert und das hat wiederum positiv auf meine schulischen Leistungen ausgestrahlt.“
Am Ende seiner dreijährigen Zeit am Westfalen-Kolleg Dortmund stand im Frühsommer 2019 das Abitur mit der Traumnote 1,0 und das Bewusstsein, dass die Neuorientierung goldrichtig gewesen war. Auch die Anschlussperspektiven zeichneten sich im Verlauf der Oberstufe zunehmend klarer ab: Unter dem Eindruck des bestärkenden Einflusses insbesondere seiner LK-Lehrer*innen rückte das Lehramtsstudium in den Fokus. „Ebenso wie meine Lehrer*innen mich geprägt und ermutigt haben wollte ich Vorbild für Schüler*innen sein, die einen ähnlichen Weg wie ich selbst gegangen sind“, schildert Marius seine Motivation.
Studienfachwahl im Austausch mit dem TalentScout
Unterstützt wurde er in dieser Phase auch von seinem TalentScout Eric. Da Marius sich mit der konkreten Studienfachwahl schwertat, empfand er als hilfreich, auf dem Fundament einer ausführlichen Reflexion den einen oder anderen Stupser in die Richtung der für ihn passenden Fächer zu bekommen. „Mein TalentScout war in dieser Phase definitiv ein Protagonist“, ordnet Marius den Stellenwert der Beratungsgespräche ein. Letztlich entschied er sich für einen Zwei-Fach-Bachelor mit der Fächerkombination Philosophie und Germanistik inklusive Lehramts-Option.
Die Ruhr-Universität Bochum wurde mit dem Wintersemester 2019/20 zu Marius‘ akademischer Heimat und konfrontierte den jungen Mann mit dem Gefühl, beim Weg nach oben gleich mehrere Sprossen auf einmal genommen zu haben. „Vor allem das erste Semester war für mich eine große Umstellung, an einer Universität herrscht eine ganz andere Arbeitsweise als noch im Abitur“, erlebte er die Anfangszeit des Studiums als große Herausforderung. Aber Marius war bereit, hart an sich zu arbeiten und weitere Schritte in der persönlichen Entwicklung zu gehen.
Unterstützt von seinem TalentScout entscheidet sich Marius für ein Bachelor-Studium mit der Fächerkombination Philosophie und Germanistik. Im Video berichtet er vom herausfordernden Start in der Hochschulwelt und seinen Plänen für die Zukunft.
Mittlerweile hat er zu einer Routine gefunden, strebt in Richtung Bachelor-Abschluss und genießt es, an der Universität seine Interessenschwerpunkte vertiefen zu können. „Das Studium bedeutet mir sehr viel“, stellt Marius fest. Tatsächlich fühlt sich der Bildungsaufsteiger in der akademischen Welt so wohl, dass er sich auch eine berufliche Zukunft als Forschender und Lehrender vorstellen kann. Der Spaß am wissenschaftlichen Arbeiten und die Perspektive noch tiefer in die Fächer eintauchen zu können motivieren ihn.
"Das TalentScouting und Dr. Anja Wieber, Stipendienbeauftrage am Westfalen-Kolleg, haben mir die Angst vor dem bis dahin respekteinflößenden Stipendien-Thema genommen."
Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung
Selbstvertrauen zieht Marius auch aus seinem Status als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung – eine Form der Anerkennung und des Vertrauensvorschusses, mit der er nicht gerechnet hätte. Dass er beim Übergang ins Studium überhaupt die Chance auf ein Stipendium gesucht hat, verdankt der bescheidene junge Mann laut eigener Aussage dem TalentScouting und der Stipendienbeauftragten am Westfalen-Kolleg Dortmund, Dr. Anja Wieber: „Beide haben mir die Angst vor dem bis dahin respekteinflößenden Thema genommen. Dabei bin ich mir sicher, dass viele andere auch genauso gute Aussichten hätten wie ich – sie trauen es sich nur nicht zu und haben niemanden, der hilft, mentale Barrieren abzubauen“, ordnet er seine erfolgreiche Bewerbung ein.
„Ich würde immer dafür plädieren, sich bietende Chancen so gut wie möglich zu nutzen und dafür auch an sich zu arbeiten."
Vorbild für andere junge Menschen mit ähnlicher Geschichte
Das bisher Erreichte, zu dem auch der Status als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung zählt, macht Marius zwar stolz, indes nimmt er den objektiv betrachtet außergewöhnlichen Bildungsaufstieg nicht als etwas Außergewöhnliches wahr: „Ich bin mir zwar der Tatsache bewusst, dass die Möglichkeit des von mir eingeschlagenen Weges etwas Besonderes ist – mein eigener Weg kommt mir nicht außergewöhnlich vor. Ich würde immer dafür plädieren, sich bietende Chancen so gut wie möglich zu nutzen und dafür auch an sich zu arbeiten.“
In dieser Einschätzung spiegeln sich einige der wesentlichen Charakterzüge und gleichsam Tugenden des jungen Mannes wider: ein hohes Maß an Reflexion, eine unprätentiöse Haltung und die Bereitschaft Möglichkeiten ohne Wenn und Aber zu ergreifen. Mit diesem Mindset und seinen beachtlichen Erfolgen füllt Marius bereits jetzt seine idealistische Zielsetzung mit Leben, Vorbild und Inspiration für andere junge Menschen mit ähnlicher Geschichte zu sein.